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Stadt Aichtal

Vergabe von Wohnbauplätzen

Artikel vom 12.01.2023

Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger,

die Vergabe von vier Wohnbauplätzen in der Lönsstraße im Stadtteil Grötzingen beschäftigt mich nun seit Beginn meiner Amtszeit. In den letzten Monaten hat das Thema große Wellen geschlagen. Daher möchte ich Ihnen an dieser Stelle das Verfahren nochmals erläutern und zusammenfassen.

Chronologie:

  • 19.12.2012: Aufstellungsbeschluss Bebauungsplan für Gelände ehemaliger Kindergarten Lönsstraße
  • 08.07.2020: Vorberatung neuer EU-konformer Vergaberichtlinien im Verwaltungsausschuss
  • 22.07.2020: Vergaberichtlinien werden EU-konform einstimmig neu gefasst
  • 21.10.2020: Gemeinderatsbeschluss zum Bauplatzpreis
  • Bis 23.12.2020: Festlegung Bauplatzpreis, Bewerbungsphase, Auswertung und Information der Bewerber
  • Bis 23.12.2020: alle Bewerbungen wurden ausgewertet und die Bewerber informiert
  • 24.02.2021: Vergabe der Plätze in öffentlicher Gemeinderatssitzung (anonymisierte Bewerber, dem Gemeinderat lag eine nichtöffentliche Übersicht mit den Namen vor)
  • April bis August 2021: Vorarbeiten und Abschluss von vier Kaufverträgen
  • August 2021: endgültige Absage eines Bauplatzerwerbers
  • 24.11.2021 und 15.12.2021: Gemeinderat beschließt entgegen dem Verwaltungsvorschlag den verbliebenen Platz nicht an den ersten Nachrücker zu vergeben 
  • Nov./Dez. 2021: Mitteilung an die Kommunalaufsicht (Landratsamt) und Widerspruch des Bürgermeisters gegen diese Beschlüsse
  • 14.03.2022: Landratsamt beanstandet Beschlüsse gem. § 121 GemO
  • 27.04.2022: erneute Behandlung im Gemeinderat: 1. Empfehlung der Kommunalaufsicht, Beschlüsse zur Nicht-Vergabe aufzuheben wird nicht nachgekommen, 2. Vergaberichtlinien werden aufgehoben
  • 26.09.2022: erneute Beanstandung durch das Landratsamt
  • 26.10.2022: Gemeinderatsbeschluss: Aufhebung der Beschlüsse wird abgelehnt
  • 16.11.2022: außerordentliche Sitzung des Gemeinderates, Gemeinderatsbeschluss:  keine Änderung der bisherigen Beschlüsse
  • Ausblick: 15.02.2023, erneute Behandlung in einer Sondersitzung des Gemeinderats
 

Transparentes und diskriminierungsfreies Vergabeverfahren 

Grundsätzlich hat die Stadt ein Vergabeermessen unter Beachtung der Grundsätze der Gleichbehandlung, der Transparenz, der Diskriminierungsfreiheit sowie der Bestimmtheit. Um dieses Ermessen zu konkretisieren, ist die Aufstellung von Bauplatzvergabekriterien sinnvoll. Im Jahr 2020 wurden dem Gemeinderat insgesamt drei Vergabeverfahren von der damaligen Verwaltungsspitze vorgestellt (Windhundverfahren oder Vergabe nach Höchstgebot, Einheimischen-Modell mit subventioniertem Bauplatzpreis, Ulmer Modell mit vollem Bauplatzpreis). Der Gemeinderat entschied sich einstimmig für das Ulmer Modell. Dies ist ein ganzheitlich entwickeltes Verfahren für die Vermarktung kommunaler Grundstücke unter regulären Marktbedingungen. Hierbei wurden vom Gemeindetag Vergabekriterien erarbeitet sowie ein Prozess entwickelt, welcher es den Kommunen ermöglicht mit maximaler Effizienz ihre Grundstücke zu veräußern. Das Ulmer Vergabemodell ist kein Modell für die Subventionierung von Bauplätzen. 

 

Wurden die Bauplätze „verbilligt“ verkauft oder bezuschusst?

Nein. Grundsätzlich darf die Stadt nach § 92 Abs. 1 Gemeindeordnung Grundstücke, die sie zur Aufgabenerfüllung nicht braucht, nur zum vollen Wert verkaufen. Eine öffentliche Zielsetzung zur Förderung des Erwerbs von Wohneigentum durch einkommensschwächere oder weniger begüterte ortsansässige Familien lag im hier genannten Vergabeverfahren nicht vor. Daher erfolgte keine Subventionierung von Bauplätzen. In der Sitzung am 21.10.2020 beschloss der Gemeinderat einstimmig die Fesetsetztung des Kaufpreises auf 600 €/m². Die Erschließungskosten für Wasser, Abwasser und Straße in Höhe sind im Bauplatzpreis enthalten. Nach der damals aktuellen Bodenrichtwertkarte, lag der Richtwert für ein voll erschlossenes Baugrundstück in diesem Bereich bei 470,00 €/m² Grundstücksfläche. In einem Leserbrief in der Nürtinger Zeitung war die Rede von „einem finanziellen Vorteil von bis zu 200 000 Euro pro Platz“. Dies ist nicht korrekt, sonst hätte der Kaufpreis bei über 1.000 Euro liegen müssen, was mehr als den doppelten Bodenrichtwert entsprochen hätten. Ob das familienfreundlich ist, stelle ich in Frage. Kein Bewerber bzw. Käufer erhielt einen finanziellen Vorteil.

 

Feuerwehrangehörige wurden berücksichtigt 

Es war auch die Rede davon, dass Feuerwehrleute aus der Feuerwehr Aichtal ausgetreten seien, weil sie keinen Wohnraum in Aichtal gefunden haben und in eine andere Stadt oder Gemeinde gezogen sind.  Es gab Kritik, dass Feuerwehrangehörige bei der Vergabe nicht berücksichtigt wurden. Feuerwehrangehörige erhalten Punkte, ebenso Personen, die im Ehrenamt aktiv sind, z.B. im örtlichen Sportverein, oder sozial-karitative Aufgaben wahrnehmen. Bei keiner der insgesamt 68 eingegangenen Bewerbungen wurde die Zugehörigkeit zur Freiwilligen Feuerwehr genannt.

 

Keine Ausschlusskriterien 

Es wäre möglich gewesen, Ausschlusskriterien festzulegen, die regeln, wem kein städtisches Baugrundstück zugeteilt werden kann. Das wurde vom Gemeinderat nicht beschlossen und daher finden Ausschlusskriterien in dem aktuellen Vergabeverfahren keine Anwendung. 

Die für die Vergabe der o.g. Plätze aufgestellten Richtlinien wurden vom Gemeinderat zwischenzeitlich aufgehoben. Sie gelten selbstverständlich für dieses Verfahren bis es abgeschlossen ist. Eine weitere Bauplatzvergabe muss neu geregelt werden.

 

Junge Familien wurden berücksichtigt

Die Plätze 1-5 (und auch die meisten weiteren Plätze) wurden belegt von jungen Familien. Nur durch Rückzug einer Familie kam es zum Nachrücken eines Seniorenpaares. Aber auch hier gilt die vom Gemeinderat beschlossene Vergaberichtlinie. Auch ältere Menschen können im Bereich Ortsbezug oder Sozialkriterien eine entsprechend hohe Punktzahl bei dem Vergabeverfahren erreichen. Dennoch verweigerte der Gemeinderat die Vergabe an die nächstplatzierten Bewerber.

 

Landratsamt bestätigt fehlerfreies Verfahren

Aufgrund gesetzwidriger Entscheidungen des Gemeinderats bei der Vergabe der Bauplätze war ich als Bürgermeister verpflichtet, gegen die Beschlüsse Widerspruch einzulegen. „Der Bürgermeister muss Beschlüssen des Gemeinderats widersprechen, wenn er der Auffassung ist, dass sie gesetzwidrig sind.“ § 43 Abs. 2 der Gemeindeordnung Baden-Württemberg. Die Kommunalaufsicht hat den Fall mehrfach geprüft, Unterlagen eingesehen und kam so zu der  Entscheidung, dass die Stadtverwaltung fehlerfrei die Kriterien des Gemeinderates angewandt und ausgewertet hat. Das gesamte  Vergabeverfahren in Aichtal wurde von mehreren Justiziaren untersucht. Dabei wurde die Gesetzwidrigkeit der Beschlüsse des Gemeinderats vom Landratsamt Esslingen als Rechtsaufsichtsbehörde bestätigt. Über eine behördliche Anordnung des Landratsamtes setzte sich der Gemeinderat hinweg. 

 

Als Bürgermeister stehe ich dafür, dass Entscheidungen der Verwaltung und des Gemeinderats nicht nach Willkür getroffen werden, sondern transparent, diskriminierungsfrei, rechtssicher und nachvollziehbar sind.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Sebastian Kurz

Bürgermeister

  

Brief des Bürgermeisters (PDF-Datei)

http://www.aichtal.de//unsere-stadt/aktuelles/aktuelles